Monthly Archives: August 2016

Tagebuch eines Babys

Tagebuch eines Babys

Die erste Nacht

Mein Leben wäre eigentlich recht schön gewesen, würde man mich nicht ständig dazu überreden wollen an der Brust meiner Mutter zu trinken. Als ob ich meinen Entschluss so schnell wieder revidieren würde! Menschen!

Allerdings bekomme ich nun doch ein schlechtes Gewissen. Mama wird von Versuch zu Versuch ängstlicher und ich spüre wie ihre Nerven blank liegen. Ihre Annäherungsversuche sind zärtlicher als die von den diversen Schwestern. Probeweise und um meine Mutter etwas zu beruhigen nuckle ich ein paar Mal. Puh! Das ist so anstrengend und wieso ich das machen muss erschließt sich mir noch immer nicht. Nach ein paar Zügen lasse ich es deswegen wieder bleiben und versuche mich wieder an einem kleinen Nickerchen.

Hin und wieder öffne ich mal das eine, mal das andere Auge um zu überprüfen ob mich die Frauen in ihren lilafarbenen Krankenhausklamotten nun endlich in Ruhe lassen. Außer mir und meinen Eltern ist keiner hier. Oder doch? Neben mir ertönt ein lautes Schreien. Nicht unähnlich dem meinen wenn ich meine Stimmbänder ein bisschen ausprobiere. Nur etwas heller. Im Bett neben unseres liegt ein weiblicher Wirt äh Mensch und hält ein kleines Mädchen in ihren Armen um sie dann mit einem beruhigenden Singsang an die Brust zu legen. Das Mädchen fängt sofort an zu saugen und bekommt davon offenbar nicht genug. Verwirrt lege ich meine Stirn in Falten. Wieso sieht das bei ihr so einfach aus?

Kurz darauf werde ich ebenfalls wieder an den Busen gedrückt. Oh Mann. Die geben wohl nie Ruhe oder? Erneut gebe ich mein Bestes um ebenfalls erneut erschöpft die Augen zu schließen. Das ist doof. Lasst mich doch einfach in Ruhe. Ich quittiere meinen Unmut mit der Nutzung meiner Stimmbänder. Die sind wirklich cool. Und wie laut die meine Stimme drehen können. Herrlich!

Als ich das nächste Mal meine Augen aufmache ist es dunkel in dem Zimmer und still. Mein Papa ist nirgends zu sehen aber ich glaube mich erinnern zu können das er mir im Halbschlaf einen Kuss auf die Stirn gedrückt hat. Jetzt waren nur meine Mama und ich hier. Achja, und dieses seltsame Mädchen mit ihrem Menschen. Offenbar findet sie es toll arbeiten zu müssen. Wenn mich nicht alles täuscht, hängt sie nämlich gerade wieder saugend an ihrer Mama. Unfassbar. Das Mädel ist mir unheimlich. Wer macht so was denn freiwillig?

Zwar werde ich noch immer im Arm gehalten aber ich merke das der Kopf meines Menschen immer wieder seitlich kippt um gleich darauf wieder hochzuschrecken. Sie scheint sehr müde zu sein ohne recht in den Schlaf zu finden. Bevor ich mich wieder an sie kuscheln kann, überkommt mich ein seltsames Gefühl das von Sekunde zu Sekunde schlimmer wird. Etwas versucht sich von meinem Bauch einen Weg nach oben zu bahnen. Ich bekomme leichte Panik. Je höher dieses widerliche Gefühl steigt, desto schwieriger wird das Atmen. Ich balle meine kleinen Händen zu Fäusten und versuche panisch einzuatmen. Ich bekomme kaum Luft und vor Angst möchte ich schreien. Ich reisse meinen Mund weit auf aber es kommt kein Ton heraus. Nur dieses seltsame Ziehen das direkt aus meiner Lunge zu kommen scheint. War meine Mutter zuvor noch müde, wirkt sie nun hellwach und genauso panisch wie ich. Sie versucht sich aufzusetzen und sinkt mit einem Schmerzensschrei wieder zurück. Nach mehreren Versuchen gibt sie es auf und versucht mich auf die Seite zu drehen. Es dauerte gerade mal ein paar Sekunden aber für mich fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Wieso hilft mir denn keiner? Erst werde ich aus meiner bequemen Blase herausgezerrt um dann elendig zu ersticken? Die eklige Flüssigkeit in meinem Hals kämpft sich an die Oberfläche während ich es krampfhaft wieder herunter schlucke und gleichzeitig nach Luft schnappe. Kurz darauf ergießt sich ein Schwall Fruchtwasser auf das weisse Laken zwischen mir und meiner Mutter. Erleichterung macht sich breit und da! Das Einatmen funktioniert auch wieder. Trotzdem fange ich an zu weinen. Das hier ist doch alles ungerecht! Ich will wieder nach Hause! Ohne recht zu merken dass die Frau im Bett nebenan sich zu uns gesellt hat, schreie ich weiter. Ich höre die Stimme meiner Mutter die die andere Frau bittet ihr zu helfen und mich auf den Bauch zu legen. Ehe ich mich versehe liege ich mit dem Bauch nach unten auf meiner Mama und werde von zwei warmen Armen umfangen.

Nun gut, vielleicht ist es doch nicht so schlimm. Besänftigt drücke ich mich an die weiche Haut und schließe meine Augen. Mein rechtes Ohr liegt genau über dem laut klopfenden Herzen. Ich habe mich zwischenzeitlich wieder beruhigt aber der Schreck sitzt meinem Menschen wohl noch in den Knochen. Beziehungsweise im Herzen. So laut und schnell wie das schlägt.

Ich schlummere friedlich ein und werde erst wieder wach als eine Schwester (schon wieder?) ins Zimmer kommt. Zum Glück werde ich ignoriert und ihre Aufmerksamkeit richtet sich ganz auf meine Mama. Eine lange Wunde unter ihrem Bauch wird untersucht und für gut befunden. Woher kommt denn diese Narbe? Mama widmet sich erstmal einarmig ihrem Frühstück und gibt mich erst wieder her, als Papa das Zimmer betritt. Na endlich! Wo warst du denn so lange? Weißt du denn gar nicht dass ich fast gestorben wäre? So schlimm war das!

Ohne ein Wort von meinem Gejammer zu verstehen werde ich hochgehoben und glücklich  in den Armen gewiegt. Eltern sind schon seltsame Geschöpfe. Da stirbt man quasi und sie lächeln einen Stunden danach an als sei nix gewesen. Bevor ich allerdings weiter darüber meckern kann werde ich wieder müde. Na gut. Dann schimpfe ich meine Eltern eben wenn ich wieder wach bin. In diesen Armen ist es auch einfach zu bequem. Wie kann da ein vernünftiger Mensch wach bleiben?

Tagebuch eines Babys

Tagebuch eines Babys
Tagebuch eines Babys

Der erste Kontakt

Irgendwie ging das Ganze schneller als geplant. So schnell wollte ich mein warmes und kuscheliges Zuhause eigentlich nicht verlassen. Sicher, es wurde langsam etwas eng hier drin und ich habe mich gerade mit dem Gedanken angefreundet langsam aber sicher zu neuen Gefilden aufzubrechen aber das musste es nun wirklich nicht sein.

Mein Wirt äh Pardon, Mama bekam es kurzzeitig ein bisschen mit der Angst zu tun, als ich dafür sorgte, dass mein kostbares Fruchtwasser einen kleinen See im Flur hinterließ. Zumindest denke ich dass es Angst war. Das beständige laute Pochen ihres Herzens wurde schneller und ich hörte die dumpfen, aufgeregten Stimmen meiner Eltern. Ich denke zumindest, dass es „Eltern“ heisst. Dieses Wort haben die beiden nämlich ständig von sich gegeben während ich munter meine Runden im Wasser drehte.

Wohin der ganze Platz zum Schwimmen verschwunden ist, ist mir immer noch ein Rätsel. Es war herrlich Purzelbäume schlagen zu können. Leider war es damit schneller vorbei, als mir lieb war. Ich musste mich sogar mehr und mehr zusammenrollen, so eng wurde es hier. Ich habe natürlich mehrmals versucht mit entsprechendem dagegen trampeln und schlagen, auf meine Misere aufmerksam zu machen. Schließlich sollte doch mein Wirt gut auf mich aufpassen. Nur irgendwie wurde mein Protest nur mit einem erfreuten Aufseufzen, Lachen und Bauchgestreichle quittiert. Wie mir das mehr Platz verschaffen sollte, war mir unklar. Hat es auch nicht. Wie gesagt, es ist hier sehr sehr eng.

Ehe ich mich seelisch  auf das Leben dort draußen vorbereiten konnte, wurde vor mir im Bauch ein Spalt sichtbar der größer und größer wurde. Erst viel später soll ich erfahren dass dieser Eingriff, der mich in diese seltsame Welt holte, Kaiserschnitt nennt. Schön und gut. ich finde es trotzdem alles andere als nett mich so abrupt aus meinem Schlummer zu reissen. Große und nicht gerade sanfte Hände umschließen meinen Körper und ziehen mich in ein grelles Licht. Das ist ja furchtbar! Ich kneife meine Augen fest zusammen und nutze meine bisher ungenutzten Stimmbänder und schreie was das Zeug hält. Seltsam, das ist also meine Stimme?

Ich versuche mit einem Auge die Unholde dich mich so unsanft behandeln zu erspähen aber alles ist unscharf und so hell. In dieser Welt leben also meinen Eltern? Arme Geschöpfe. Wo waren sie eigentlich? Die Stimme, die glaubt beruhigend auf mich einzureden, gehört definitiv nicht meiner Mama. Und auch nicht meinem Papa. Im gleichen Moment realisiere ich, dass ich jetzt auch in dieser grässlichen lauten und unscharfen Umgebung leben muss. Ich schraube meine Stimme eine Oktave höher. Bringt mich wieder zurück!

Kalte Luft streift mir über meine Haut und ich vermisse das beengte warme Gefühl der Geborgenheit. Was soll ich hier? Andere Hände (ebenfalls nicht die meiner Eltern) wickeln mich in etwas weiches. Es wird wärmer und auch wenn es dieses Etwas auf meiner Haut nicht so warm anfühlt wie Mama, wird es etwas erträglicher. Ich werde erneut in ein anderes Paar Hände gedrückt. Ehe ich weiterhin protestieren kann, wird mir ein ekliger Schlauch in den Mund gesteckt. Das hier ist doch alles furchtbar. Ich will das nicht! Laut schreiend und spuckend höre ich Wörter wie „Fruchtwasser verschluckt“ und „ist schon gut“ ohne dass ich begreife was diese seltsamen verschiednen Stimmen meinen. Endlich wird mir der fiese Fremdkörper aus dem Mund genommen und ich werde fester in den weichen Stoff gepackt. Immer noch schreiend werde ich wieder weiter gegeben. Was ist das? Diese Stimme kenne ich. Mama bist du das? Und da! Das ist doch Papa! Wo zur Hölle seid ihr gewesen? Habt ihr nicht gesehen was die gemeinen Hände und Stimmen mit mir gemacht haben? Ich werde liebevoll gedrückt und gestreichelt und ich fange an mich nicht mehr so fehl am Platz zu fühlen.

Schließlich war ich jetzt nicht mehr allein. Die Stimmen meiner Eltern hören sich anders an als ich es mir noch in Mamas Bauch bequem gemacht habe. Klarer und lauter. Dennoch, es sind die Stimmen von Mama und Papa. Ich stelle das Schreien ein. Das hat mich doch sehr erschöpft.

Alles fühlt sich plötzlich anders an. Sterile und seltsam schmeckende Luft füllt meine Lungen. Mein Bauch hebt und senkt sich und ein seltsam grummelndes Gefühl bereitet sich in meinem Magen aus. Bleierne Müdigkeit macht sich breit und auch die Augen aufzumachen fühlt sich so schwer an.

Nach einer kurzen Verschnaufpause werde ich wieder aus meinem Schlummer gerissen. Kann man hier nicht einmal seine verdammte Ruhe haben? Meine Mama ist mir ganz nah aber es sind nicht Mamas Hände die mich an die Brust meiner Mutter drücken. Was soll ich denn bitte da? Immerhin ist es hier so weich und warm, dass ich fast wieder einschlafe. Wären da nur nicht diese unerbittlichen Hände gewesen die mich wieder aufwecken und erneut an die Brust drücken. Ich bin doch so müde. Lasst mich!

Die gemeinen Hände werden von sanfteren und leicht unsicheren Händen abgelöst. Kurz darauf lässt mich ein stechendes Gefühl an der Ferse laut aufschreien. Aua! Das tut weh. Kurz darauf wird mir etwas in den Mund geschoben und süße Flüssigkeit tropft in meinen Mund. Ich schlucke. Nicht dass ich das wollen würde aber diese gemeine Person die mich schon so rabiat an die Brust meiner Mama drückte ist unerbittlich.

Dann darf ich endlich wieder in die Arme von meinem Papa. Meine Eltern sind definitiv sanfter und nicht so gemein. Dieses Nuckeln ist so anstrengend. Ich weigere mich weiterhin strickt an der Brust zu „arbeiten“. Lasst mich lieber schlafen. Nach etlichen Versuchen gönnt man mir endlich meine Ruhe. Ich darf nun zum ersten mal das leise Bumbum von Papa hören, während ich an seiner Brust lehne.

Ist das jetzt mein Leben? Eigentlich ganz nett. Bis auf dieses arbeiten. Da können sich meine Eltern brav was anderes ausdenken! Ich werde wieder zur Mama gebracht und während ich ihrem Herzschlag lausche, ignoriere ich diese chaotische und seltsame Welt. Hier ist es schön und warm. Bei meinen Eltern bleibe ich. Ob sie das nun wollen oder nicht. Seufzend balle ich meine kleinen Fäuste und während ich langsam einschlafe, frage ich mich noch was ich mit diesen Händen eigentlich anfangen soll.