Tagebuch eines Babys

Tagebuch eines Babys

Die erste Nacht

Mein Leben wäre eigentlich recht schön gewesen, würde man mich nicht ständig dazu überreden wollen an der Brust meiner Mutter zu trinken. Als ob ich meinen Entschluss so schnell wieder revidieren würde! Menschen!

Allerdings bekomme ich nun doch ein schlechtes Gewissen. Mama wird von Versuch zu Versuch ängstlicher und ich spüre wie ihre Nerven blank liegen. Ihre Annäherungsversuche sind zärtlicher als die von den diversen Schwestern. Probeweise und um meine Mutter etwas zu beruhigen nuckle ich ein paar Mal. Puh! Das ist so anstrengend und wieso ich das machen muss erschließt sich mir noch immer nicht. Nach ein paar Zügen lasse ich es deswegen wieder bleiben und versuche mich wieder an einem kleinen Nickerchen.

Hin und wieder öffne ich mal das eine, mal das andere Auge um zu überprüfen ob mich die Frauen in ihren lilafarbenen Krankenhausklamotten nun endlich in Ruhe lassen. Außer mir und meinen Eltern ist keiner hier. Oder doch? Neben mir ertönt ein lautes Schreien. Nicht unähnlich dem meinen wenn ich meine Stimmbänder ein bisschen ausprobiere. Nur etwas heller. Im Bett neben unseres liegt ein weiblicher Wirt äh Mensch und hält ein kleines Mädchen in ihren Armen um sie dann mit einem beruhigenden Singsang an die Brust zu legen. Das Mädchen fängt sofort an zu saugen und bekommt davon offenbar nicht genug. Verwirrt lege ich meine Stirn in Falten. Wieso sieht das bei ihr so einfach aus?

Kurz darauf werde ich ebenfalls wieder an den Busen gedrückt. Oh Mann. Die geben wohl nie Ruhe oder? Erneut gebe ich mein Bestes um ebenfalls erneut erschöpft die Augen zu schließen. Das ist doof. Lasst mich doch einfach in Ruhe. Ich quittiere meinen Unmut mit der Nutzung meiner Stimmbänder. Die sind wirklich cool. Und wie laut die meine Stimme drehen können. Herrlich!

Als ich das nächste Mal meine Augen aufmache ist es dunkel in dem Zimmer und still. Mein Papa ist nirgends zu sehen aber ich glaube mich erinnern zu können das er mir im Halbschlaf einen Kuss auf die Stirn gedrückt hat. Jetzt waren nur meine Mama und ich hier. Achja, und dieses seltsame Mädchen mit ihrem Menschen. Offenbar findet sie es toll arbeiten zu müssen. Wenn mich nicht alles täuscht, hängt sie nämlich gerade wieder saugend an ihrer Mama. Unfassbar. Das Mädel ist mir unheimlich. Wer macht so was denn freiwillig?

Zwar werde ich noch immer im Arm gehalten aber ich merke das der Kopf meines Menschen immer wieder seitlich kippt um gleich darauf wieder hochzuschrecken. Sie scheint sehr müde zu sein ohne recht in den Schlaf zu finden. Bevor ich mich wieder an sie kuscheln kann, überkommt mich ein seltsames Gefühl das von Sekunde zu Sekunde schlimmer wird. Etwas versucht sich von meinem Bauch einen Weg nach oben zu bahnen. Ich bekomme leichte Panik. Je höher dieses widerliche Gefühl steigt, desto schwieriger wird das Atmen. Ich balle meine kleinen Händen zu Fäusten und versuche panisch einzuatmen. Ich bekomme kaum Luft und vor Angst möchte ich schreien. Ich reisse meinen Mund weit auf aber es kommt kein Ton heraus. Nur dieses seltsame Ziehen das direkt aus meiner Lunge zu kommen scheint. War meine Mutter zuvor noch müde, wirkt sie nun hellwach und genauso panisch wie ich. Sie versucht sich aufzusetzen und sinkt mit einem Schmerzensschrei wieder zurück. Nach mehreren Versuchen gibt sie es auf und versucht mich auf die Seite zu drehen. Es dauerte gerade mal ein paar Sekunden aber für mich fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Wieso hilft mir denn keiner? Erst werde ich aus meiner bequemen Blase herausgezerrt um dann elendig zu ersticken? Die eklige Flüssigkeit in meinem Hals kämpft sich an die Oberfläche während ich es krampfhaft wieder herunter schlucke und gleichzeitig nach Luft schnappe. Kurz darauf ergießt sich ein Schwall Fruchtwasser auf das weisse Laken zwischen mir und meiner Mutter. Erleichterung macht sich breit und da! Das Einatmen funktioniert auch wieder. Trotzdem fange ich an zu weinen. Das hier ist doch alles ungerecht! Ich will wieder nach Hause! Ohne recht zu merken dass die Frau im Bett nebenan sich zu uns gesellt hat, schreie ich weiter. Ich höre die Stimme meiner Mutter die die andere Frau bittet ihr zu helfen und mich auf den Bauch zu legen. Ehe ich mich versehe liege ich mit dem Bauch nach unten auf meiner Mama und werde von zwei warmen Armen umfangen.

Nun gut, vielleicht ist es doch nicht so schlimm. Besänftigt drücke ich mich an die weiche Haut und schließe meine Augen. Mein rechtes Ohr liegt genau über dem laut klopfenden Herzen. Ich habe mich zwischenzeitlich wieder beruhigt aber der Schreck sitzt meinem Menschen wohl noch in den Knochen. Beziehungsweise im Herzen. So laut und schnell wie das schlägt.

Ich schlummere friedlich ein und werde erst wieder wach als eine Schwester (schon wieder?) ins Zimmer kommt. Zum Glück werde ich ignoriert und ihre Aufmerksamkeit richtet sich ganz auf meine Mama. Eine lange Wunde unter ihrem Bauch wird untersucht und für gut befunden. Woher kommt denn diese Narbe? Mama widmet sich erstmal einarmig ihrem Frühstück und gibt mich erst wieder her, als Papa das Zimmer betritt. Na endlich! Wo warst du denn so lange? Weißt du denn gar nicht dass ich fast gestorben wäre? So schlimm war das!

Ohne ein Wort von meinem Gejammer zu verstehen werde ich hochgehoben und glücklich  in den Armen gewiegt. Eltern sind schon seltsame Geschöpfe. Da stirbt man quasi und sie lächeln einen Stunden danach an als sei nix gewesen. Bevor ich allerdings weiter darüber meckern kann werde ich wieder müde. Na gut. Dann schimpfe ich meine Eltern eben wenn ich wieder wach bin. In diesen Armen ist es auch einfach zu bequem. Wie kann da ein vernünftiger Mensch wach bleiben?

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