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Tagebuch eines Babys

Tagebuch eines Babys
Tagebuch eines Babys

Der erste Kontakt

Irgendwie ging das Ganze schneller als geplant. So schnell wollte ich mein warmes und kuscheliges Zuhause eigentlich nicht verlassen. Sicher, es wurde langsam etwas eng hier drin und ich habe mich gerade mit dem Gedanken angefreundet langsam aber sicher zu neuen Gefilden aufzubrechen aber das musste es nun wirklich nicht sein.

Mein Wirt äh Pardon, Mama bekam es kurzzeitig ein bisschen mit der Angst zu tun, als ich dafür sorgte, dass mein kostbares Fruchtwasser einen kleinen See im Flur hinterließ. Zumindest denke ich dass es Angst war. Das beständige laute Pochen ihres Herzens wurde schneller und ich hörte die dumpfen, aufgeregten Stimmen meiner Eltern. Ich denke zumindest, dass es „Eltern“ heisst. Dieses Wort haben die beiden nämlich ständig von sich gegeben während ich munter meine Runden im Wasser drehte.

Wohin der ganze Platz zum Schwimmen verschwunden ist, ist mir immer noch ein Rätsel. Es war herrlich Purzelbäume schlagen zu können. Leider war es damit schneller vorbei, als mir lieb war. Ich musste mich sogar mehr und mehr zusammenrollen, so eng wurde es hier. Ich habe natürlich mehrmals versucht mit entsprechendem dagegen trampeln und schlagen, auf meine Misere aufmerksam zu machen. Schließlich sollte doch mein Wirt gut auf mich aufpassen. Nur irgendwie wurde mein Protest nur mit einem erfreuten Aufseufzen, Lachen und Bauchgestreichle quittiert. Wie mir das mehr Platz verschaffen sollte, war mir unklar. Hat es auch nicht. Wie gesagt, es ist hier sehr sehr eng.

Ehe ich mich seelisch  auf das Leben dort draußen vorbereiten konnte, wurde vor mir im Bauch ein Spalt sichtbar der größer und größer wurde. Erst viel später soll ich erfahren dass dieser Eingriff, der mich in diese seltsame Welt holte, Kaiserschnitt nennt. Schön und gut. ich finde es trotzdem alles andere als nett mich so abrupt aus meinem Schlummer zu reissen. Große und nicht gerade sanfte Hände umschließen meinen Körper und ziehen mich in ein grelles Licht. Das ist ja furchtbar! Ich kneife meine Augen fest zusammen und nutze meine bisher ungenutzten Stimmbänder und schreie was das Zeug hält. Seltsam, das ist also meine Stimme?

Ich versuche mit einem Auge die Unholde dich mich so unsanft behandeln zu erspähen aber alles ist unscharf und so hell. In dieser Welt leben also meinen Eltern? Arme Geschöpfe. Wo waren sie eigentlich? Die Stimme, die glaubt beruhigend auf mich einzureden, gehört definitiv nicht meiner Mama. Und auch nicht meinem Papa. Im gleichen Moment realisiere ich, dass ich jetzt auch in dieser grässlichen lauten und unscharfen Umgebung leben muss. Ich schraube meine Stimme eine Oktave höher. Bringt mich wieder zurück!

Kalte Luft streift mir über meine Haut und ich vermisse das beengte warme Gefühl der Geborgenheit. Was soll ich hier? Andere Hände (ebenfalls nicht die meiner Eltern) wickeln mich in etwas weiches. Es wird wärmer und auch wenn es dieses Etwas auf meiner Haut nicht so warm anfühlt wie Mama, wird es etwas erträglicher. Ich werde erneut in ein anderes Paar Hände gedrückt. Ehe ich weiterhin protestieren kann, wird mir ein ekliger Schlauch in den Mund gesteckt. Das hier ist doch alles furchtbar. Ich will das nicht! Laut schreiend und spuckend höre ich Wörter wie „Fruchtwasser verschluckt“ und „ist schon gut“ ohne dass ich begreife was diese seltsamen verschiednen Stimmen meinen. Endlich wird mir der fiese Fremdkörper aus dem Mund genommen und ich werde fester in den weichen Stoff gepackt. Immer noch schreiend werde ich wieder weiter gegeben. Was ist das? Diese Stimme kenne ich. Mama bist du das? Und da! Das ist doch Papa! Wo zur Hölle seid ihr gewesen? Habt ihr nicht gesehen was die gemeinen Hände und Stimmen mit mir gemacht haben? Ich werde liebevoll gedrückt und gestreichelt und ich fange an mich nicht mehr so fehl am Platz zu fühlen.

Schließlich war ich jetzt nicht mehr allein. Die Stimmen meiner Eltern hören sich anders an als ich es mir noch in Mamas Bauch bequem gemacht habe. Klarer und lauter. Dennoch, es sind die Stimmen von Mama und Papa. Ich stelle das Schreien ein. Das hat mich doch sehr erschöpft.

Alles fühlt sich plötzlich anders an. Sterile und seltsam schmeckende Luft füllt meine Lungen. Mein Bauch hebt und senkt sich und ein seltsam grummelndes Gefühl bereitet sich in meinem Magen aus. Bleierne Müdigkeit macht sich breit und auch die Augen aufzumachen fühlt sich so schwer an.

Nach einer kurzen Verschnaufpause werde ich wieder aus meinem Schlummer gerissen. Kann man hier nicht einmal seine verdammte Ruhe haben? Meine Mama ist mir ganz nah aber es sind nicht Mamas Hände die mich an die Brust meiner Mutter drücken. Was soll ich denn bitte da? Immerhin ist es hier so weich und warm, dass ich fast wieder einschlafe. Wären da nur nicht diese unerbittlichen Hände gewesen die mich wieder aufwecken und erneut an die Brust drücken. Ich bin doch so müde. Lasst mich!

Die gemeinen Hände werden von sanfteren und leicht unsicheren Händen abgelöst. Kurz darauf lässt mich ein stechendes Gefühl an der Ferse laut aufschreien. Aua! Das tut weh. Kurz darauf wird mir etwas in den Mund geschoben und süße Flüssigkeit tropft in meinen Mund. Ich schlucke. Nicht dass ich das wollen würde aber diese gemeine Person die mich schon so rabiat an die Brust meiner Mama drückte ist unerbittlich.

Dann darf ich endlich wieder in die Arme von meinem Papa. Meine Eltern sind definitiv sanfter und nicht so gemein. Dieses Nuckeln ist so anstrengend. Ich weigere mich weiterhin strickt an der Brust zu „arbeiten“. Lasst mich lieber schlafen. Nach etlichen Versuchen gönnt man mir endlich meine Ruhe. Ich darf nun zum ersten mal das leise Bumbum von Papa hören, während ich an seiner Brust lehne.

Ist das jetzt mein Leben? Eigentlich ganz nett. Bis auf dieses arbeiten. Da können sich meine Eltern brav was anderes ausdenken! Ich werde wieder zur Mama gebracht und während ich ihrem Herzschlag lausche, ignoriere ich diese chaotische und seltsame Welt. Hier ist es schön und warm. Bei meinen Eltern bleibe ich. Ob sie das nun wollen oder nicht. Seufzend balle ich meine kleinen Fäuste und während ich langsam einschlafe, frage ich mich noch was ich mit diesen Händen eigentlich anfangen soll.